Marion Kemmerzell

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Gestern, im Jahr 634 - Leseprobe 4





Textstücke

In Trier war letztes Jahr ein Mönch zu Gast bei unserem Bischof, erzählt Grimo, ein Ire, der mit Columban gereist war, der schien sich sicher, dass jede Leidenschaft des Fleisches – so hat er es genannt – mit Gottes Willen unvereinbar ist.

Honorius lacht, Ach, diese Iren, er schüttelt den Kopf, die hungern so, dass sie am Ende kaum noch denken können.

*

Woher, bei Gott, soll ich das wissen, meint Geloyra, ich bin in ihren Schlafzimmern niemals dabei gewesen. Doch wie der Himmel damals aussah, und dass die Luft im Schloss und später auf dem Landgut bei Paris wie angebrannte Grütze roch und schmeckte, weiß ich noch gut. Und Fredegunde rauschte durch die Räume und ihre Kleider flatterten und ließen ihre Brüste und Beine sehen. Und dass Hass zwischen Fredegunde und Gailswintha wie ein Ungeheuer stand, an dessen Umrisse ich mich bis heute zu erinnern meine –

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Auch in Odas Haus gibt es einen kleinen Garten. Mein Garten, sagt Oda. Eigentlich ist es nur ein Innenhof mit etwas Grün und einem Wasserbecken. Dort sitzen sie im Schatten, während die Nachmittagssonne eine Hauswand hinaufsteigt und Andovera süßes Gebäck verteilt. Grimo tunkt seine Füße ins Wasserbecken. Er denkt an Bilichilde.

Bilichilde, sagt er versonnen.

Diese Schlampe, sagt Andovera.

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Er betrachtet beim Gehen seine Füße. Die Sandalenriemen und Zehen. Unter dem Nagel des rechten großen Zehs sind Schmutzreste. Er zählt die Schritte. Der Weg durch die Kirche ist ziemlich lang, und sie dürfen nicht hochschauen. Wegen der Demut. Er schielt nach den Füßen seines Nachbarn. Eines gewissen Venantius. Venantius Füße sind sauber geschrubbt. Venantius meidet den Kontakt mit der freien Natur, wenn irgend möglich.

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Zwei Männer kamen ihnen entgegen, schleppten ein steinernes Doppelkreuz: zwei Kreuze übereinander waren aus einer sich nach oben verjüngenden Steinplatte geschlagen, das untere Kreuz diagonal, das obere stand aufrecht, im Giebel darüber ein Kopf. Die Männer hatten das Doppelkreuz stöhnend abgesetzt.

Gott ist schwer, hatte Honorius gesagt, soll ich euch ihn tragen helfen?

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Das Leben hat keinen Sinn, sagt Richar. Du wirst geboren, du plagst dich, und dann stirbst du. Du darfst nicht essen, wenn du Hunger hast, du darfst nicht lieben, wen du liebst.

Unsinn, sagt Grimo, natürlich darfst du lieben, wen du liebst, es kann nur sein, dass du sie nicht heiraten darfst.

Du hast ja keine Ahnung, sagt Richar.

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Moduald - schreitet weit aus, den Mittelgang entlang auf sie zu, der mit Silberfäden durchwirkte Stoff seiner Albe schimmert, die goldgesäumten Ärmel schwingen im Raum, Säulen zu beiden Seiten ragen in einen an den Rändern versengten Himmel, Reste verkohlter Sparren, Moduald wird ein neues Dach auf sie herabbefehlen, noch muss er die Bäume schlagen lassen, aus denen die mächtigen Balken gesägt werden sollen. Die Säulen blähen sich ein wenig, als er vorübereilt, er hätte gern, dass sie sich vor ihm neigten, sie seufzen nur. Trotzdem: ein einziger Triumph: Ich!

Grimo, ruft er, mein lieber Grimo - und Ermengundis - welch eine Freude!

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Ich dachte, ihr hättet Mittel, ihn herbeizurufen, sagt die Pächterin. Ich bin als Kind einmal in Trier gewesen. In einer dieser übergroßen Kirchen. Ein Gottesdienst voll Inbrunst mit Weihrauch und Gesang. Ich wartete auf sein Erscheinen. Dann nahm mich meine Mutter bei der Hand und sagte, dass dieser Gott sich selten sehen ließe. Wir hätten keine Zeit, so lang zu warten.

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Phantastisch, nicht wahr?, Moduald streichelt einen der Köpfe. Die haben sie natürlich nicht selbst hergestellt, diese Heiden, die haben sie irgendwo geraubt, nehme ich an. Wohingegen die Schriftzeichen hier unten auf dem Fußbrett, er hebt den Stuhl, damit Grimo die eingeritzten Buchstaben besser sehen kann, ganz sicher aus ihrer Werkstatt stammen. Vermutlich steht da ein Fluch zu lesen. Jeden Nicht-Alamannen soll der Blitz treffen – so etwas. Moduald lacht. Aber ich behalte ihn trotzdem, den schönen Stuhl.

Vielleicht bittet der Schreiber auch um das Wohlwollen seiner Götter für jeden, der auf dem Stuhl Platz nimmt, sagt Grimo

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Er kann gut reden, dein kleiner Bruder, denkst du nicht auch, meine Ermengundis? Vielleicht hätte ich ihn doch den Löwen zum Fraß vorwerfen sollen. - Heute, in dieser Nacht der Nächte. Soll er sich ruhig zum schmalen, harten Bett der Küsterin begeben. Aber du bleibe bei mir. Die Stunden bis zum Morgen werden mir lang und zäh und qualvoll sein ohne dich.

Ein kräftiger Wind zaust die Bäume im angrenzenden Garten, die mit schwarzen Fingern nach dem Licht der verblassenden Sterne angeln.
Es wird nicht förderlich sein für Moduald, eine Ehe einzugehen, sagt Grimo, und wir sind nicht reich genug, das auszugleichen.
Man wird kaum merken, dass er eine Frau hat, Bruder, ich werde öffentlich gar nicht erscheinen.

Willst du das?, fragt Grimo.

*

Und nun soll ich, sagt Arnoulf, diesem Palast zu neuem Glanz verhelfen, was, wie Ihr wisst, eine zähe, eine Heidenarbeit ist.
Wer war dargestellt?, Moduald betrachtet eine der kopflosen Figuren.
Theudeberts Vater Childebert ließ hier seine Eltern Sigibert und Brunichilde auf die Wände formen. Ihren Hochzeitszug. Diese Locken, seht Ihr, Moduald, gehörten zu der jungen Brunichilde, deren Gesicht jetzt nur noch ein Krater ist. Man strich den Stuckmörtel damals direkt über Badeszenen auf die Wände, über Fresken aus der Zeit, da hier ein römisches Gebäude mit Becken für warmes und kaltes Wasser war. Die Fußbodenheizung ist noch intakt. Sigibert ließ sie erneuern, um Brunichilde, die aus der Sonnenstadt Toledo kam, zu wärmen.
Darf ich? Moduald schiebt eine Fingerspitze unter ein loses Stück Mörtel.
Macht nur, ich werde ohnehin die ganze Hochzeit von den Wänden nehmen lassen.
Das Mörtelstück reißt einen halben Arm mit sich von der Wand. Darunter scheinen zarte Farben auf. Rosatöne neben einem linden Grün.
Ich fürchte, meint Arnoulf, das hüllenloses Fleisch zum Vorschein kommen wird. Nichts, was man auf den Mauern lassen, oder in die Gestaltung einbeziehen könnte.
Modual löst mit dem Messer einen halben Oberkörper. Darunter eine weibliche Brust, die Warze ziegelrot.

Gehen wir, sagt Arnoulf.

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Das nennst du Festung?, fragt Gibuld interessiert. Ich nenn es eine Villa, Hofgut bequem gewordener Diener eines Hausmeiers, der vorgibt das Land für seinen König zu verwalten. Ein paar Gebäude mit angenehmen Betten, Holzbauten für Mägde, Knechte und das Vieh, und eine Grube, aus der ein Haus für euren Gott erwachsen soll, zu dessen Wohl ihr freie Menschen zwingt, Sklavendienste zu verrichten. Um all das habt ihr zwei Reihen Holz ins Erdreich klopfen lassen. Um eure Ängste zu sedieren.

Ihr werdet trotzdem bluten, sagt Eberhardt. Gott hat schon dem großen Chlodwig gegen euch zum Sieg verholfen.

Heute, sagt Gibuld, heute wird die wankelmütige Fortuna ihren Blick von euch ab und uns zuwenden. Sie wird lächeln. Heil wird unser sein, Wodan der Herr.